Von am 26. März 2014

Nach dem Bombardement – zwei weitere Todesopfer.

Mehr Sicherungen!
Die Bombardierung unserer Stadt hat im ganzen Schweizervolke größte Bestürzung ausgelöst. Dankbar nehmen wir Schaffhauser die Kundgebungen des Mitgefühls und der Solidarität aus allen Gegenden unseres Landes zur Kenntnis. Wir hoffen, daß die schweren materiellen Schäden, die in die Millionen gehen dürften, von denen, die für diesen grausamen Anschlag auf unsere Stadt in letzter Instanz die Verantwortung zu übernehmen haben, in vollem Umfange vergütet werden. Unsere Landesregierung wird sich zweifellos bemühen, dies zu erreichen. Leider aber können die zahlreichen Opfer, die wir heute zur letzten Ruhe betten, nicht mehr lebendig gemacht werden.

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Selbst allen guten Willen der Amerikaner vorausgesetzt, sind Verluste verursacht und Wunden geschlagen worden, die nicht mehr gut gemacht werden können. Unsere Forderungen sind daher mit noch so großzügiger Bereitschaft zur Ersatzleistung nicht erschöpft. Was wir mit allem Nachdruck verlangen müssen, sind Sicherungen dafür, daß ähnliche brutale Ueberfälle auf unser friedliches neutrales Land in Zukunft unterbleiben. Leider haben die bisherigen schweizerischen Demarchen in London und Washington nicht die Erfolge gezeitigt, die wir von ihnen erwartet haben. Diesmal aber wird man schweizerischerseits mit größtem Nachdruck die volle Respektierung unserer Rheinzone verlangen müssen, und wir erwarten, daß die Schweiz nicht wieder nur mit Worten und Versprechungen abgefertigt, sondern diese Versprechungen auch gehalten werden. Haben die Alliierten nicht immer verkündet, daß sie für eine internationale Rechtsordnung kämpften? Darüber wird man sich auch in den angelsächsischen Hauptstädten im klaren fein, daß der geringste Teil der bisher von dieser Seite erfolgten Verletzungen unserer Neutralität die Entschuldigung mit den harten „Notwendigkeiten des Krieges“ in Anspruch nehmen kann, ganz abgesehen davon, daß unsere Neutralität auch darauf nicht Rücksicht nehmen könnte, da sie total ist.

Gerade wir Schaffhauser, die wir jenseits des Rheines daheim find, in einem der am meisten exponierten Kantone unseres Landes, sind an vermehrten Sicherungen aufs stärkste interessiert. Ob nicht auch unsererseits einiges für eine solche vermehrte Sicherung unserer Grenzgebiete aufgewendet werden sollte — etwa durch gänzliche oder teilweise Aufhebung der Verdunkelung bei Nacht und durch Markierung der Grenze durch große Schweizerkreuze für den Tag —, ist eine Frage, die von den militärischen un wohl auch politischen obersten Instanzen zu entscheiden ist. Jedenfalls aber erwartet die Schaffhauser Bevölkerung, die nun künftige Ueberfliegunge wohl mit weniger Gelassenheit über sich ergehen lassen wird, daß alle diese Fragen zuständigen Ortes neuerdings und mit dem ganzen Ernste, der ihnen zukommt, überprüft werden. Gewisse Lehren wird aber auch die Bevölkerung selber aus der Katastrophe des vergangenen Samstags ziehen. Allgemein wird man die Erfordernisse des Luftschutzes wieder ernster nehmen und ihnen die gebotene Aufmerksamkeit zuwenden. In Schaff-Haufen jedenfalls sind jene Spötter verstummt, die den Luftschutz als eine mehr oder weniger überflüssige Institution erklärten und in den Vorschriften für die Bevölkerung eine bloße Schikane, einer übertriebenen Vorsicht entsprungen, zu sehen glaubten. Auch wird sich unsere Bevölkerung bei Luftalarm fortan sicher vermehrter Disziplin befleißigen, denn schließlich ist die Tatsache nicht zu übersehen, daß kein einziger Luftschutzkeller beschädigt worden ist und damit auch niemand zu Schaden kam, der sich rechtzeitig in einen Keller begeben konnte. Obgleich wir, verglichen mit den alliierten Großangriffen auf deutsche Städte, trotz aller Schwere und Tragik verhältnismäßig noch glimpflich davongekommen sind, haben wir doch eine Vorstellung davon bekommen, wie der Ernstfall aussieht. Und dabei müssen wir uns bewußt sein, daß die Gefahr für unser Land nicht etwa kleiner, sondern im Gegenteil um so größer wird, je mehr sich der Krieg der entscheidenden Schlußphase nähert.

Durch einen Anschauungsunterricht, den wir nicht mehr vergessen werden, sind wir darüber belehrt worden, wie furchtbar der moderne Krieg wütet. Eine Minute hat genügt, um unsägliches Leid über unsere Stadt zu bringen. Wie aber, wenn die Bombardierung eine halbe oder ganze Stunde gedauert hätte und statt 50 bis 100 Kilo schwere Vier- oder Sechstonnenbomben abgeworfen worden wären? Von unserer Stadt wäre wohl nicht mehr viel übrig geblieben. Erst wenn man sich dies vergegenwärtigt, gewinnt man, wie die „Thurgauer Zeitung“ treffend bemerkt, den richtigen Maßstab zur Beurteilung des wahren Ausmaßes und der Wirkungen der Bombardierung deutscher Städte.

Daran kann kaum gezweifelt werden, daß Schaffhausen, wenn auch nur im Vorbeiflug, nicht etwa nur zufälligerweise, sondern mit voller Absicht und zielbewußt bombardiert worden ist. Das allerdings hoffen wir annehmen zu dürfen, daß die unglückseligen Bombenflieger sich nicht bewußt waren, daß es sich um schweizerisches Territorium bandelte. Aber schon die Bombardierung der Anflugstrecke deutet darauf hin, daß nicht bloße Zufälligkeiten im Spiele waren. Der erste Bombeneinschlag erfolgte bereits bei Schlatt, wo der Güterschuppen der Station getroffen wurde und abbrannte. Links und rechts des Bahngeleises und der Straße der Strecke Etzwilen-Schaffhausen gähnen in den Wiesen und Gärten Bombentrichter, einige davon unmittelbar neben dem Bahndamm. In den Kohlfirstwald schlugen zahlreiche Brand- und Brisanzbomben ein und richteten teilweise Verheerungen an. Aber auch die Annahme eines Irrtums kann nicht als Entschuldigung gelten. Die Flieger mußten wissen, daß der Fluß, dessen Ufer sie bombardierten, der Rhein ist, denn aus ihrer Höhe konnten sie bei dem herrschenden sichtigen Wetter ohne weiteres den Boden- und Untersee erkennen. Es ist deshalb schwer, an eine bloße Desorientierung zu glauben, außer es habe sich bei den Fliegern um geographische Analphabeten gehandelt. Wenn sie auch zur Not Schaffhausen noch für eine deutsche Stadt halten konnten, da sie auf dem rechten Rheinufer liegt, so ist doch auch die Schweizerseite bombardiert worden.

Aus diesen Gründen ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß jedenfalls der Verantwortliche Staffelkommandant, der den verbrecherisch leichtfertigen Befehl gab, über die Bedeutung des Rheins als Grenzfluß zwischen dem kriegführenden Deutschland und der neutralen Schweiz gar nicht im Bilde war. Wir könnten es aber nicht anders denn als unverantwortliche Fahrlässigkeit bezeichnen, wenn tatsächlich Flieger gegen Europa losgelaswenn tatsächlich Flieger gegen Europa losgelassen würden, denen die elementarsten hoffen daher, daß schweizerischerseits bei den gegenwärtigen und künftigen Demarchen in London und Washington mit allem Nachdruck gerade auf diesen Punkt hingewiesen wird. Es muß unbedingt verlangt werden, daß selbst Flieger aus Texas oder Illinois oder Neuseeland, die über Europa operieren, wissen, das die Schweiz ist und welche Bedeutung dem Bodensee und dem Rheine zukommt, um nur von unserer Nordgrenze zu reden. Solange wir nicht diese Gewißheit haben, werden wir uns vor einer Wiederholung solcher „unerklärlicher Irrtümer“ nie sicher fühlen können.


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