Zeitzeugen

Zeitzeugen erinnern sich – viele Schaffhauserinnen und Schaffhauser verbinden bis heute ganz persönliche Erlebnisse mit dem 1. April 1944. Wir haben bereits aus Anlass des 70. Gedenktages im Jahre 2014 einige davon in Ton und Bild zusammengetragen, andere aus Büchern und anderen Dokumenten über die Bombardierung. Jeder Mensch nimmt 1000 Geschichten mit sich ins Grab, sagt ein chinesisches Sprichwort. Wenn aber Erlebtes aufgeschrieben und weitererzählt wird, kann es Teil einer gemeinsamen Erinnerungskultur werden. Und ist nachfolgenden Generationen als erlebte Geschichte zugänglich.

Die Eltern von Hans Bader (*1931) waren am Bahnhof Schaffhausen, als die Bomben fielen. Beide wurden getötet ­ – der geschwisterlose Arbeiterbub war auf einen Schlag Vollwaise. Hans Bader erinnert sich daran, wie er am Sarg von seiner Mutter Abschied nehmen musste. Heute sieht er das grosse öffentliche Interesse an seiner Person, die Trauerfeier und die schwierigen Jahre danach kritisch.

Elisabeth Schön (*1923) war Hausangestellte im Städtischen Entbindungsheim auf dem Areal der Villa Marienstift. Ringsum wurden Gebäude schwer getroffen. Jetzt galt es, die Säuglinge und die Wöchnerinnen zu retten. Ein schwerverletztes Mädchen aus der Nachbarschaft starb vor ihren Augen.

Bernhard Seiler (*1931) verlor bei der Bombardierung seinen Vater. Kantonsrichter Heinrich Emil Seiler wurde von einer Sprengbombe bei der Beckenstube getötet. Sein Sohn spricht über den Schock und darüber, welche grossen Schwierigkeiten sich durch den Verlust des Vaters für die Familie ergaben.

Gertrud Opitz (*1927) arbeitete als Lehrtochter im Stadtzentrum. Im Luftschutzkeller erfuhr sie, dass ihr Vater getötet worden sei. Wenig später trat der selber in den Keller: Eine Verwechslung! Nach Stunden des Ausharrens bot sich der jungen Frau ein verstörender Anblick ihrer Heimatstadt.

Hans Peter Rohr (*1931) spielte mit Freunden Fussball auf dem Münsterplatz. In unmittelbarer Nähe schlugen mehrere Bomben ein. Benommen aber voller kindlicher Neugier machte sich der Junge auf den Heimweg und erlebte in den Minuten nach dem Anschlag gespenstische Szenen. Später, als  legendärer Stadtführer, weigerte er sich, die Bombardierung zum Thema zu machen.

Therese Braig (*1928) flanierte am Samstagmorgen mit einer Schulfreundin durch die Altstadt. Wenig später fielen die Bomben genau dorthin, wo sich die jungen Damen wenige Augenblicke zuvor aufgehalten hatten. Am nächsten Tag feierten die Mädchen in einer verwundeten Stadt ihre Konfirmation.

Der Schaffhauser Unternehmer Hans-Carl Koch verbindet mit der Bombardierung ein traumatisches Kindheitserlebnis. Wie die Bombardierung auf den kleinen Bub wirkte und wieso es wichtig ist, an den Schreckenstag auch heute noch zu erinnern, sagt er im Interview.

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Wie Tannenbäumchen, die vom Himmel fallen

Wegen der Häufigkeit der Überfliegungen und da bisher noch nie Bomben abgeworfen worden waren, hatten sich viele derart an die Alarme gewöhnt, dass die Srassen belebt blieben und sich sogar noch Schaulustige ins Freie begaben.

Ich war unsicher, ob ich jetzt noch mit den anderen Kindern weiter Fussball spielen sollte oder doch nach Hause eilen sollte. Ich überlegte, dass ich Vater erzählen könnte, ich hätte einen Luftschutzkeller beim Münsterplatz aufgesucht. Als das erste Flugzeuggeschwader sichtbar und das Brummen immer lauter wurde, habe ich mich einige Meter von meinen spielenden Kameraden wegbewegt und hielt schliesslich vor dem «Thiergarten», von wo ich die Flugzeuge weit oben am stahlblauen Himmel sehen konnte. Es waren mehrere in Keilformation fliegende Staffeln.

Dann klinkten sie Bomben aus.

Für meine kindlichen Augen sah es einen Augenblick lang aus, als fielen Tannenbäumchen vom Himmel. Jemand rief: «Jetzt lönds la ghäie!», und ich hörte ein ungeheuerliches Krachen. Aus Erzählungen wusste ich, dass man sich in solchen Situationen auf den Boden werfen musste, und ich hielt mir mit den Händen schützend den Kopf. Erst als ich wieder aufstehen wollte, um nach Hause zu rennen, merkte ich, dass ich dies nicht mehr konnte. Ich sah, dass mein rechtes Bein halb weg war. Da hingen nur noch Muskelfetzen. Ich hüpfte in den nahen Schneidergang und setzte mich auf einen Treppenabsatz. Von der Verletzung spürte ich anfänglich nichts und hatte keinerlei Schmerzen. Ich rief um Hilfe. Niemand hielt an. Jemand rief: «Si lönd no meh la ghäie!». Offiziere, Soldaten und andere rannten an mir vorbei und brachten sich in Sicherheit. Ich mache diesen Menschen keine Vorwürfe, ihr Verhalten ist verständlich.

Erst nach einiger Zeit sah ich den mir bekannten Malermeister Alois Ebner daherkommen. Er hielt an und nahm mich auf den Arm. Zusammen mit einer mir unbekannten Frau trug er mich durch den Schneidergang und durch die Vordergasse in die Praxis von Dr. Lämmli am Kirchhofplatz. Von dort wurde ich ins alte Kantonsspital transportiert (…) und war einer der ersten Verwundeten, welche dort überhaupt ankamen. (Hans Langhart, zit. in Battel, 1994)

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Göttliche Fügung

Als an jenem 1. April Alarm gegeben wurde, war ich mit meinen vier Brüdern allein zu Hause. Mutter arbeitete in der Fabrik. Trotz der heulenden Sirenen blieben wir in der Wohnung, und ich stand am Fenster und suchte den Himmel nach den Flugzeugen ab. Schliesslich eilte ich zu den auf der Srasse stehenden Leuten hinunter, um zu erfahren, was da erzählt wurde. Dann krachte es. Es waren die Einschläge beim Herrenacker, im Rebleutegang, und bei uns, in der «Landkutsche». Eine Brandbombe hatte das Dach durchstossen, schlug in den Estrich und bahnte sich ihren Weg im Treppenhaus durch alle Stockwerke. Erst im Parterre blieb sie liegen. Auf dem Weg durch das alte Haus hatte die Bombe ihr Brandmaterial nach allen Seiten verspritzt, und augenblicklich brannte das morsche Gebälk wie Zunder. Der älteste meiner vier jüngeren Brüder hatte den Weg nach unten alleine gefunden. Ich rannte sofort los, ins Haus und die Treppen hinauf.

Damals stand in allen Zeitungen, ich hätte mir genau überlegt, was ich tat. Das ist alles nicht wahr. Es passierte einfach.

Das erste Mal, als ich im vierten Stock ankam, packte ich diejenigen zwei Brüder, welche schon gehen konnten, an den Händen und führte sie durchs brennende Treppenhaus auf die Strasse hinunter.

Dann rannte ich ein zweites Mal nach oben und nahm den Kleinsten, er war erst drei Monate alt, unter den Arm. Im Treppenhaus brannte es nun lichterloh. Es war teilweise kein Durchkommen mehr. Ich setzte mich aufs Geländer, drückte meinen kleinen Bruder an mich und sauste nach unten. Ich weiss nicht, wie wir den ganzen Weg, ohne hängenzubleiben und Feuer zu fangen, zurücklegen konnten. Wir kamen unten an, ohne auch nur die geringste Verletzung davonzutragen.

(…) Es ärgerte mich, dass in den Zeitungen stand, ich sei ein Held. Dass meine Brüder gerettet wurden, ist nicht mein Verdienst. Heute weiss ich, dass es göttliche Fügung war.

Wir standen auf der Strasse, vor dem brennenden Haus. Der Kleine schrie und brüllte, was er rausbrachte. Und jetzt hörten wir etwas, was uns noch lange, lange Zeit beshäftigte. Im ersten Stock wohnte Frau Schreiber, eine alte, gute Frau welche früher auf der Landkutsche gewirtet hatte. Frau Schreiber konnte nicht mehr gehen und verliess die Wohnung sozusagen nicht mehr. Sie war in der Wohnung gefangen und verbrannte. Noch lange hörten wir ihr Schreien. Wenn ich mich in jene Zeit zurückversetze, meine ich, sie noch heute zu hören. Es war schrecklich, mit gebundenen Händen miterleben zu müssen, wie ein Mensch stirbt. Es war nichts zu machen. (Henri Eberlin, zit. in Battel, 1994)

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In der Bindfadenfabrik

Wir in der Bindfadenfabrik  kamen ja auch glimpflich davon, und doch sind es Stunden, die ich meiner Lebtag nicht vergessen werde. Als der Alarm ertönte, sagten wir noch, ob wohl wieder ein Amerikaner bei uns landen wolle. Beim Motorengeräusch sprangen wir hinaus und blickten in den klar-blauen Frühlingshimmel hinauf. Stolz flogen die Staffeln daher, und wir freuten uns, wie die Flugzeuge schön glitzerten in der Sonne (…). Aber wir hätten doch ein Stück gescheiter sein müssen. Plötzlich hörten wir eine Detonation, und schnell sprangen wir, weil wir dachten, eine Flab habe geschossen. Erst nachher erfuhren wir, dass das schon die ersten Bomben waren, die von der zweiten Staffel im Kohlfirst abgeworfen worden waren. Nochmals wagten wir uns hinaus und betrachteten ahnungslos die weissen Räuchlein, die Zeichen der Bombardierung. Ein Soldat, der gerade die sauber gewaschene Küchenwäsche der Bew. Kp. 30 abholen wollte, riet uns, ins Haus zu gehen und meinte, es kommen sicher noch Bomben runter. Gott sei Dank folgten wir seinem Rat, und keine Minute nachher fing es an zu krachen auf allen Seiten. Mit welcher Geschwindigkeit wir im Keller waren, kann ich nicht beschreiben. Einschlag folgte auf Einschlag, Scheibenklirren, Geschrei und ein fürchterlicher Gestank folgten augenblicklich. Wir standen alle dichtgedrängt unter einem Türrahmen; Schrecken stand auf allen Gesichtern, keinen Augenblick lang waren wir sicher, ob nicht etwas auf uns stürzt. Das alles geschah in kürzester Zeit, und es werden unvergessliche Minuten sein. Erst eine Stunde später erfuhren wir, dass eine Brandbombe auf dem Flachdach unserer Kantine explodiert war, aber nicht durchgeschlagen hatte. Ich rannte schnell hinauf, um den Schaden zu besehen. Im Dach war ein schwarzer Trichter aufgerissen, und ringsum waren alle Fensterscheiben eingedrückt. Wir konnten nur danken für die wunderbare Bewahrung.

Unmittelbar nach dem Angriff stürzten dann die Leute der Sisalspinnerei, wo drei Bomben eingeschlagen hatten, zu uns in den Keller, die Frauen ganz verstört und zum Teil weinend. Ein Schwerverletzter wurde von zwei Frauen gestützt, und wir legten ihn auf ein Bündel Wäsche in unserer Waschküche. Am Hals hatte er ein tiefes Loch, jedenfalls von Glasscherben oder einem Bombensplitter. Der Soldat schickte alle meine Mädchen in den Luftschutzkeller, weil man nie sicher sein konnte, ob sie nochmals kommen. (Ruth Schwank-Suter, zit. in Angst – Trauer – Hoffnung, 1995)

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Rettung im Wandkasten

Dem Dienstmädchen, das ich herbeigerufen hatte, erklärte ich noch die Flugzeugtypen. Dann begab sich die Hausangestellte wieder an ihre Arbeit in das Parterre (Mühlenstrasse 77, Anm. d. Red.), während ich selber am Fenster stehen blieb und stutzig werdend den in geschlossener Formation von Osten nach Westen fliegenden Flugzeugen nachschaute. Plötzlich hörte ich ferne Detonationen und sah, wie zwei Rauchfahnen mit Leuchtkugeln sich von einem der Flugzeuge lösten. Die Gefahr erkennend, rief ich meinem Dienstmädchen zu: „Elsie, es gilt! In den Luftschutzkeller!“ Ich selbst sprang im gleichen Augenblick in mein Zimmer zurück um dort mein Enkelkind zu holen. Kaum hatte ich das Kind an mich gerissen, hörte ich in der Nähe eine heftige Detonation, und sofort begann das Haus zu schwanken. Ich konnte noch mit dem Knaben im Arm durch das Nebenzimmer eilen, als eine zweite Detonation erfolgte.

Ich verspürte nun plötzlich, wie sich der Boden unter meinen Füssen senkte, doch mit einem Sprung gelang es mir noch in den Korridor zu gelangen, wo ich vermutlich mit dem Rücken am linken Türpfosten aufschlug und dadurch auf dem Boden zu sitzen kam.

Krachend stürzte hinter mir der westliche Gebäudeteil in sich zusammen. Im Korridor wurde ich zuerst von einer Türe, welche sich über meine Beine legte, und kurze Zeit nachher von einem Wandkasten, der sich glücklicherweise geöffnet hatte, zugedeckt. Ich versuchte mich sofort zu befreien. Dabei verbrachte ich den Knaben, den ich immer noch in Amen hielt, in einer Kastenecke in Sicherheit. Nach einiger Zeit gelang es mir, mich erst mit den Beinen und dann mit dem Oberkörper aus meiner ungemütlichen Lage zu befreien, wobei ich feststellte, das ich ausser Schmerzen im Rücken keine Verletzungen hatte. Nun zog ich auch mein Enkelkind aus dem Kasten und eilte mit diesem ins Freie. Erst vom Garten sah ich, wie das ganze Haus zum grössten Teil zerstört war.

Da ich vermutete, dass mein Dienstmädchen noch unter den Trümmern liegen musste, rief ich mehrmals ihren Namen, erhielt jedoch keine Antwort. Nachdem ich den Knaben zu Bekannten gebracht hatte, eilte ich zurück und war behilflich, mein verletztes Dienstmädchen aus den Trümmern zu befreien. (Irene Tobler-Auckentaler, Polizeiakten 1944, Stadtarchiv Schaffhausen)

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Eine Schülerin sucht im Chaos ihre Mutter

Es war ein schöner Frühlingssamstag. Mein Schulweg führt mich von der Mühlenstrasse über die Neustadt zum Herrenacker und von dort durch die Vorstadt zum Bachschulhaus. Alles war so friedlich, die Sonne schien und der Sonntag stand vor der Tür. Fast vergass man den Krieg, der in Europa brodelte. Wer sah voraus, dass schon in drei Stunden alles anders aussehen würde: zerstörte und brennende Häuser an Mühlenstrasse, Neustadt und Herrenacker.

Ich sass im Parterrezimmer der zweiten Mädchenrealschule mit Blick auf die Knabenrealschule Gega, als Fliegeralarm ertönte. Das war weiter nichts Aussergewöhnliches. Hörbar wurde das Dröhnen der Fliegerstaffeln, sodass die Knabenrealschüler im obersten Stockwerk des Gegaschulhauses neugierig an den offenen Fenstern standen und in den Himmel starrten Doch wie auf ein Kommando verschwanden die Köpfe von den Fenstern, worauf uns unser Klassenlehrer sofort in den Luftschutzkeller beorderte. Kaum waren wir in unserem Abteil, (jede Klasse hatte ihr eigenes Abteil, wo man etwas gedrängt sitzen konnte) hörte man Detonationen. Die Kellerfensterwaren offen. Wir beruhigten uns gegenseitig damit, dass bestimmt eine deutsche Ortschaft nahe unserer Grenze bombardiert worden sei. Ein Passant, der zu uns in den Keller kam, verbreitete das Gerücht, dass die Stadtkirche St. Johann zerstört sei.

Nun ahnten ich, dass Schlimmes passiert war und wollte unbedingt nach Hause zu meiner Mutter. Noch war kein Endalarm und wir durften den Keller nicht verlassen. Nach circa einer Stunde (ich weiss nicht mehr genau) kam ein Aufruf, dass alle Pfadfinderinnen sich sofort an einem bestimmten Ort besammeln sollten. Dies war die Gelegenheit, mich mit meiner Kollegin, die im gleichen Hause wie ich wohnte, davon zu machen.

Wir wählten den schnellsten Weg nach Hause: beim Bahnhof vorbei zur Fäsenstaubpromenade. Der Drang nach Hause zu kommen war so gross, dass wir weder den zerstörten Südflügel des Bahnhofes, noch die brennenden Neustadthäuser wahrnahmen. Als wir auf der Höhe der Fäsenstaubpromenade standen und ins Mühlenenquartier hinunterschauten, kam der grosse Schock. Das ganze Quartier war in Rauch gehüllt, auch unser Haus, die Schönau 7. Doch sie brannte nicht. Da der Weg ins Mühlenquartier gesperrt war, liefen wir dem Bahntrassee entlang, bis wir eine Absteige oberhalb des Restaurants Bahntal fanden. Dort waren viele Menschen besammelt, auch eine Wöchnerin mit ihrem frisch geborenen Baby von dem nahegelegenen Entbindungsheim beim Marienstift, das auch von einer Bombe getroffen wurde. Und dann, oh Wunder, schloss mich meine Mutter in die Arme. Sie konnte es kaum glauben, dass ich lebend vor ihr stand, denn Gerüchte, dass die Stadtschulen bombardiert worden seien, waren ihr zu Ohren gekommen.

Es war eine Bewahrung Gottes, dass meine Mutter lebte und das Haus nicht getroffen wurde. Sie stand mit ihrer Schwester im obersten Stock des Hauses am offenen Fenster und schaute fasziniert den beiden Flugzeuggeschwadern zu. Beim dritten Geschwader erschienen Leuchtkugeln am Himmel, die das  Zeichen für den Bombenabwurf gaben. Beide Frauen erkannten sofort die Gefahr und stellten sich im Innern der Wohnung unter Türrahmen. Was wäre passiert, wenn sie am offenen Fenster stehen geblieben wären.? Das Nachbarhaus östlich wurde von einer Sprengbombe zerstört.

Ein älteres Ehepaar fand dabei den Tod. Das Nachbarhaus ennet der Strasse bekam einen Volltreffer, doch die Besitzerin, Frau Tobler und ihr Enkel blieben unversehrt. Im Garten, der an der Westseite unseres Hauses angrenzte, fand sich der tiefe Krater einer Sprengbombe, nur einige Meter entfernt von unserer Hausmauer. Beim Treppenaufstieg zu unserer Haustüre lag ein Blindgänger, eine Brandbombe.

Wir erlebten Zeichen der Hilfsbereitschaft. Als wir gegen Abend in unsere Wohnung zurückkehrten konnten, kam eine Bekannte aus dem Niklausenquartier und brachte uns warme Suppe. Von Neuhausen kam eine uns fremde Frau und holte meine Kollegin und mich zu sich nach Hause, damit wir zwei Nächte bei ihr ruhig schlafen konnten. Unser ganzes Haus hatte keine Fensterscheiben und die Wohnungen waren voll Rauch von der gegenüberliegenden, brennenden Weinmann-Fabrik. Meine Tante half anderntags der Nachbarin, Frau Tobler, noch brauchbare Gegenstände aus dem zerstörten Haus zu bergen.

Nach der Bombardierung Schaffhausens gab es in den Kriegsjahren 1944/45 fast täglich Fliegeralarm. Wir verbrachten unzählige Nächte im Keller und mehr Stunden im Luftschutzkeller als in den Schulzimmern. Und wenn wir die vorüberfliegenden Bomber mit ihrer schweren und unheilbringenden Last hörten, dachten wir an die armen Menschen in den deutschen Städten, die Schreckliches zu erwarten hatten. (Denise Lienhard, Brief an die SN, März 2014)

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«Unsere liebe Stadt brennt!»

Etwa um 10.40 Uhr hörten wir ein Dröhnen, das ganz sicher von schweren Bombern herrühren musste. Alle streckten die Köpfe zum Fenster hinaus, oder einige standen auf der Strasse und guckten zu den winzig kleinen Flugzeugen hinauf. Die Maschinen waren in einer solchen Höhe, dass sie von unten gesehen nur Spielzeuge waren. Jeder konnte sie zählen. Wir kamen bis auf etwa 48 solcher Flieger. Sie blitzten in der Luft auf, als wollten sie uns zuwinken und uns sagen: «Wie herrlich ein solcher Sonnentag.»

Da – was war das? Zwei kleine blaue Wölklein fielen aus einer der vorüberfliegenden Maschinen. Aber wir konnten nicht lange fragen, denn nach einigen Sekunden vernahmen wir eine heftige Detonation, noch eine, zwei, drei, vier, und so fort. Bumm, bumm, bumm. Und? Plötzlich verstummte das Einschlagen, aber wie? Es brennt, es brennt, es brennt! Unsere liebe Stadt brennt. Man sieht nur noch Rauchwolken, gerötet von den Flammen. Wir hören auf zu arbeiten, räumen zusammen und gehen, ja, man kann sagen, stürmen in die Stadt. Das Telefon ist unterbrochen. Nur ein Staunen und Raten. Was ist getroffen? Wohin sind die Bomben gefallen? Ein jeder geht heim, um zu schauen, ob noch alles steht. Mancher kommt vor einen Trümmerhaufen. Ich glaube, so schnell trieben mich die Füsse noch nie gegen die Stadt. Ich hatte aber nur einen Drang: «Hilf, hilf, so viel du kannst und vermagst, du bist ja noch gesund.» Ich kam auf den Bahnhof. Alles half einander. Da hatte auch für mich die Stunde geschlagen. Ich trug mit noch drei anderen eine verwundete Frau ins Kantonsspital. (…) Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, war es unvorstellbar. Blut, Dreck, sonst nichts. Die Verwundeten hatten zwei Zentimeter dick den Strassenkot auf der Haut, gemischt mit Blut, die Haut hing in Fetzen von den Gesichtern. Die Kleider waren zerrissen. Alle klagten über heftige Schmerzen.

(…) Daheim angekommen, berichtete ich das Geschehen und erzählte, was ich vorhabe. Dann stürzte ich mich in die Kadettenuniform. Essen konnte ich nichts, denn das Gesehene hatte mir total den Hunger genommen. Beim Kantonsspital war der Sammlungspunkt aller Freiwilligen. (…) Ich führte mit Flieger-Oberleutnant Pilot Werner Hofer eine Gruppe zur zerstörten Steigkirche. Welcher Anblick. Eine Kirche in Trümmer gelegt. Was man in Zeitungen und Blättern aus anderen Ländern «bewunderte«, wurde hier zur Wirklichkeit. Vor dem Eingang stand eine Tafel mit der Aufschrift. «Nicht betreten. Einsturzgefahr.» (…)

Ein Satz in der Schweizer Illustrierten», den ich wiedergeben will, blieb mir in Erinnerung: «Es war vielleicht der nachhaltigste Eindruck, den wir am Sonntagabend aus der brennenden Stadt mit uns heimtrugen, dass die Leute der Munotstadt die glückliche Gabe besitzen, aus einem bitteren Heute, auf ein selbstgemeistertes Morgen hinzustreben. Doch als wir, nach nur zwei Tagen, am Dienstag, die Stadt wieder sahen und fühlten, wie sehr das Leben bereits wieder zwischen Häuserruinen pulsierte, da waren auch wir überrascht. Dass sich eine so furchtbar heimgesuchte Stadt so rasch erholten würde, das hatten wir nicht für möglich gehalten.» (Urs Keller, in: Angst – Trauer – Hoffnung, die Kriegsjahre in Schaffhausen 1939-1945, Schaffhausen, 1995)

  1. Bleiker, Hansueli (85)
    1. April 2014

    Bomben auf Hallau im Bericht glatt ignoriert, meine Zuschrift als Zeitzeuge ebenfalls. Herr Chefredaktor, ich bin entäuscht!

  2. stefan keller
    23. Juni 2014

    Ich möchte an dieser Stelle eine Geschichte erzählen, die so nicht mit der Irrtumswahrheit zusammenpasst.

    Meine Schwester lebte in den 80er Jahren in San Diego USA. Sie arbeitete als Coiffeuse in einem Laden in La Jolla, San Diego.
    Dort kam eines Tages ein Alter Mann zum Haare schneiden. Ihm fiel auf, dass meine Schwester einen leichten unamerikanischen Akzent hatte und fragte woher sie komme.
    Sie antwortete natürlich, sie komme aus der Schweiz, worauf er entgegnete, dass er die Schweiz kenne. Auf die Frage, woher sie denn genau stamme, entgegnete meine Schwester Schaffhausen.
    Er Blickte hoch und sagte, dass er Schaffhausen kenne. Sie fragte dann, ob er schon da gewesen sein, worauf er das beneinte und sagte er sei daruber geflogen und habe Schaffhausen bombardiert.
    Sie entgegnete dann, das sei doch ein irtümliches Bombardement gewesen, das sei auch so in der Öffentlichkeit kommuniziert worden. Darauf lächelte er und sagte: „Wir wussten was wir taten….“