Von am 29. März 2014

Zerstörung und Wiederaufbau

Von Emil Schalch, alt Stadtrat

Die Redaktion der «Schaffhauser Nachrichten» hat mich ersucht, für ihre heutige Auflage eine Erinnerungsskizze über die Bombardierung vom 1. April 1944 zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen der mir zugeteilten Spalten kann es sich tatsächlich nur um eine knappe, skizzenhafte Darstellung — vom Standort des damaligen Baureferenten aus gesehen — handeln.

PDF DownloadSchaffhauser Nachrichten – Ausgabe vom 01.04.1969

Am Samstagmorgen, den 1. April, tönten wieder einmal, wie so oft, die Alarmsirenen. Man schenkte diesen wiederholten Warnungen keine grosse Aufmerksamkeit mehr. Doch diesmal galt es ernst. Kurz vor 11 Uhr erschienen amerikanische Flugzeuge vom Kohlfirst her über unsere Stadt, und bald krachten die Tod und Verderben bringenden Spreng- und Brandbomben. Besonders betroffen wurden die westlichen und nördlichen Quartiere, wie die «Mühlenen», die Rheinstrasse, die Neustadt, die Frauengasse, der Herrenacker, der Rathausbogen, die Beckenstube und der Westtrakt des Museums zu Allerheiligen mit seinen wertvollen und unersetzlichen Kunstwerken (siehe Max Bendel «Zerstörter Schaffhauser Kunstbesitz»), dann aber auch der Bahnhof, das katholische Vereinshaus, das Rauschsche Gut und die Steigkirche. Leider blieb es nicht nur bei diesen materiellen Schäden. 40 Todesopfer und weit über 100 Schwer- und Leichtverletzte waren zu beklagen, 123 Wohnungen wurden zerstört, und über 500 Personen verloren vorübergehend ihr Obdach, für welche raschestens neue Unterkunft und Verpflegung gesucht werden musste. Mehr als 500 Gebäude wurden ganz oder teilweise zerstört oder zum mindesten beschädigt. Versorgungsleitungen wie Gas, Wasser und Elektrizität, aber auch die Telefonverbindungen und die Bahnlinien von Neuhausen nach Schaffhausen erlitten empfindliche Schäden. Der Gesãmtschadenbetrag belief sich — wenn ich mich recht erinnere — auf ca. 45 — 50 Millionen Franken.

Es war bei all diesem Unglück ein glücklicher Zufall, dass zur Zeit der Bombardierung der vollzählige Stadtrat an einer Sitzung im Stadthaus anwesend war und so ohne Verzug die ersten, dringendsten Anordnungen zur Hilfsaktion treffen konnte. Feuerwehr, Luftschutz, Kriegsfürsorge wurden alarmiert, der Abtransport der Toten und Verwundeten organisiert und soweit möglich die ersten Räumungs- und Sicherungsarbeiten in die Wege geleitet. Unbekümmert um alle Formalitäten galt es, rasch zu handeln. So ordnete der Stadtrat von sich aus die Einberufung sämtlicher Wehrpflichtigen zur Hilfeleistung an, und zwar, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, durch Autos mit Lautsprecher. Bald trafen aber auch fremde Hilfen ein, so die Feuerwehren aus den näheren und entfernteren Gemeinden.

Gegen 2 Uhr mittags konnte ich mich vom Kommandoposten, der im Gebäude der Stadtpolizei eingerichtet war, für eine kurze Zeit frei machen, um einen Ueberblick zu gewinnen über das Ausmass der Zerstörung. Ein Gang in die betroffenen Quartiere ergab ein schreckliches, unvergessliches Bild. Ich konnte mich nicht allzu lange in diesem Chaos aufhalten und musste zurück, um mitzuberaten an den weiteren zu treffenden Dispositionen. So galt es unter anderem, die Vorkehrungen anzuordnen für die bereits auf den kommenden Dienstag festgelegte Begräbnisfeier. Ueber den Sonntag musste am Aushub des Massengrabes gearbeitet werden.

So gegen 9 Uhr abends war es endlich soweit, dass ich den Heimweg antreten konnte. Immer noch in den Gedanken versunken über das schmerzliche Geschehen, musste ich jetzt die bitterste Enttäuschung des Tages erleben. Aus einem Konzertlokal ertönte lautes Tingeltangel.

Verglichen mit der eindrucksvollen freiwilligen Hilfsbereitschaft, mit dem Mut und dem uneigennützigen Einsatz der ganzen Einwohnerschaft war dies ein grausamer Kontrast und eine unverschämte Pietätlosigkeit. Sofort kehrte ich zurück zur Stadtpolizei und verlangte, dass dieser Unfug abgestellt werde, was auch prompt geschah.

In den ersten Tagen der folgenden Woche erhielten wir eine äusserst wertvolle Hilfe durch eine Aktion der Zürcher Dachdecker- und Glasermeister, die uns ihr Personal spontan zur Verfügung stellten. Wertvoll deshalb, weil im 6. Kriegsjahr eben nicht nur das nötige Material, sondern auch viele im Aktivdienst stehende Arbeitskräfte fehlten. Auch 2 Sappeurkompagnien konnten sehr bald zu Räumungsarbeiten und für die Niederlegung der Brandruinen eingesetzt werden.

Nachdem nun der erste Schock überstanden war, galt es zu überlegen und zu entscheiden, wie der Wiederaufbau in die Wege zu leiten sei. Soll sich der Stadtrat der so plötzlich gestellten Aufgabe annehmen, oder soll der Wiederaufbau den vom Unglück Betroffenen überlassen werden. Die letztere Lösung wäre für den Stadtrat wohl die bequemste, aber kaum verantwortbar gewesen. Der Stadtrat entschied sich für die erste Lösung. Er wollte den Wiederaufbau selbst in der Hand behalten und nicht dem Zufall überlassen. Dies bedingte die sofortige Inangriffnahme der Planung, und entsprechende Dispositionen waren zu treffen. Denn schon wenige Tage nach der Bombardierung klopften die Inhaber der zerstörten industriellen und gewerblichen Betriebe beim Baureferenten an und wollten — um nur ein Beispiel zu nennen — im Räume der «Mühlenen» auf ihrem alten Areal Neubauten erstellen. Aber gerade hier handelte es sich um ein recht allergisches Gebiet, einmal im Hinblick auf das in Projektierung begriffene Kraftwerk, dann um die geplante Schaffung eines freien Rheinufers, um eine breitere, flüssigere Mühlenstrasse und nicht zuletzt um die Verwirklichung des Gedankens, gewerbliche und industrielle Betriebe soweit wie möglich aus dem Gebiet des Rheinufers und der Wohnquartiere herauszunehmen. — Aber auch die Probleme der Steigkirche, des Museums, des katholischen Vereinshauses, der Wiederaufbau der Silberwarenfabrik Jezler & Co. AG, des Naturhistorischen Museums usw. usw. stellten sich und mussten gelöst werden.

Der Stadtratsbeschluss, den Wiederaufbau selbst im «Griff» zu behalten, ergab natürlich auch seine Konsequenzen, speziell in finanzieller Hinsicht. Es galt, Liegenschaften — zerstörte oder nur beschädigte — zu erwerben, abzutauschen und zu arrondieren und aus dieser Zusammenlegung heraus neue Grundstücke für den Aufbau zur Verfügung zu stellen oder ausserhalb der Stadt für Bauland besorgt zu sein (Beispiel Weinmann AG). Ich fühlte mich als ausgesprochener Grundstückmakler. Diese Aktion bedingte grosse finanzielle Mittel. Dem Stadtrat standen aber in eigener Kompetenz nur 30 000 Fr. zur Verfügung (übrigens heute noch!). Damit war selbstverständlich nichts anzufangen; und hier musste zuerst der Ausweg gesucht werden. Deshalb gelangte der Stadtrat schon am 21. April 1944 an den Grossen Stadtrat mit dem Gesuch, es sei ihm zur Durchführung und Abwicklung der Wiederaufbauprojekte einen bis zum 31. Dezember 1945 befristeten Kredit von 2,5 Millionen Franken zu gewähren. Bereits am 20. Mai 1944 gelangte dieser Antrag zur Volksabstimmung, und mit 4896 la gegen 386 Nein wurde der Kredit bewilligt. Damit war die Bahn frei für die Planung und Verwirklichung des Wiederaufbaues Bei den nun folgenden unzähligen, hie und da auch sehr zähen Verhandlungen durfte ich aber doch erfahren, dass bei all den Beteiligten und den verschiedensten Interessen der gute Wille wie auch die Einsicht zu einer grosszügigen Lösung vorhanden war und dass in keinem einzigen Falle die Expropriation in Anwendung gebracht werden musste. Heute, nach 25 Jahren, möchte ich nachträglich all den Beteiligten, aber auch meinen damaligen Mitarbeitern, herzlich danken für ihr Verständnis und für die Unterstützung, die sie mir haben ange-deihen lassen.

Zusammen mit der Planung erfolgte auch die Ermittlung der Neu-tralitätsverletzungsschäden, sowohl der Personenschäden als auch der Mobiliar- und Gebäudeschäden. Diese Arbeit lag in den Händen der

Kantonalen Baudirektion, hat aber den Baureferenten ebenfalls noch stark beschäftigt, speziell was die stadteigenen Schäden, die einen Betrag von Fr. 2 826 754.68 ergaben, betraf. Dank der sehr loyalen Einstellung der haftpflichtigen Amerikaner konnte auch diese Seite der Katastrophe befriedigend gelöst werden.

Und so darf heute, nach 25 Jahren, rückblickend auf das furchtbare, schmerzliche Ereignis an die Worte von Friedrich Schiller im «Willhelm Teil» gedacht werden: «Und neues Leben blüht aus den Ruinen», die sich in Schaffhausen wörtlich erfüllt haben — verbunden mit der Hoffnung, dass unsere liebe Stadt Schaffhausen in Zukunft vor solchen oder ähnlichen Schicksalsschlägen verschont bleiben möge.


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  1. Wehrli Monika
    1. April 2014

    Der damalige Baureferent hiess Emil Schalch!