Von am 29. März 2014

«Es krachte plötzlich fürchterlich … jetzt galt es Ernst»

Soldat Walter Moser erlebte während eines kurzen Urlaubs die Bombardierung der Stadt Schaffhausen.

VON WALTER MOSER

Im Frühling 1944 hatte das Füsilier-Batalion 61 wieder einmal die Wache am Rhein zu übernehmen. Ich wurde dem Detachement zum Schutze des Kraftwerks Eglisau zugeteilt. Jedoch von Freitag bis Samstag konnte ich meinen 24-stündigen Urlaub beziehen, den ich in Neuhausen bei meinen Eltern verbrachte. Am Samstagmorgen schickte mich meine Mutter in die Stadt, um in dem Käsegeschäft im Löwengässchen Käse zu kaufen, der besonders vergünstigt angepriesen wurde. Das Trambillett für Soldaten kostete 20 Rappen, anstatt 30 für Zivilisten.

PDF DownloadSchaffhauser Nachrichten – Ausgabe vom 01.04.2004-2

Kaum hatte ich meinen Kauf getätigt und das Geschäft verlassen, sah ich im schmalen Himmelsstreifen zwischen den Häusermauern silbern glänzende Flugzeuge den blauen Himmel überziehen. Ein Anblick, dem man in unserer Grenzregion meist keine besondere Beachtung schenkte. Als ich die Mitte des Bahnhofplatzes erreicht hatte, krachte es plötzlich fürchterlich, und ich wurde von einem Fensterscheiben-Splitterregen überschüttet, der mir den Handrücken aufritzte. Jetzt galt es Ernst. Wohin mich wenden? Bahnhöfe waren ein bevorzugtes Ziel. Von der Stadt und von den Mühlenen her hörte man weitere Detonationen. Ich entschloss mich, in den Hausgang des Restaurants Schneeberg in Deckung zu gehen. Vielleicht gäbe es dort auch einen Schutzraum. Der Gang war schon voller Leute. Eine bedrückende Stille. Man wusste ja nicht, ob noch mehr Bomben fallen würden. War es ein Irrtum oder der Anfang einer ernsthaften Entwicklung?

Einziger Uniformierter

Als einziger Uniformierter war ich in einer besonders prekären Situation. Draussen herrschte immer noch Stille, so entschloss ich mich als Erster, den Raum zu verlassen und den mit Trümmern übersäten Bahnhofplatz zu überqueren. Die Westseite des Bahnhofgebäudes war am stärksten beschädigt, und dort lagen auch Körper am Boden. Verletzte sah ich keine. Mit zwei, drei Männern, die sich auch schon aus ihrer Deckung herausgewagt hatten, legten wir drei Tote auf einen grossen Gütergepäckwagen und stellten ihn, nachdem wir den Perron von den grössten Trümmern freigemacht hatten, ins halb zerstörte Bahnhofbuffet hinein. Dort stand hinter der Theke eine Serviertochter, die in einem schockartigen Zustand unbeteiligt Biergläser abtrocknete. Inzwischen kamen auch die ersten Bahnzivilschutzleute vom Güterbahnhof her und vom Hotel Müller Offiziere, die dort irgendeinen Kurs abhielten.

Meine Hilfe war nicht mehr nötig, und ich machte mich auf den Weg nach Neuhausen, um meine Mutter zu beruhigen, die ja wusste, dass ich mitten in der Stadt war, und um eventuell in Neuhausen helfen zu können. Von den Mühlenen her sah man schwarze Rauchwolken, sodass ich den Weg über die Vordersteig und die Stokarbergstrasse nahm. Dort stand Pfarrer Peter Vogelsanger mit dem Stahlhelm auf dem Kopf vor seiner beschädigten Kirche und fragte mich, ob es in der Stadt Verletzte gegeben hätte. Ich konnte ihm nur sagen, was ich selber gesehen hatte, dann gingen wir in die Kirche und stiegen zur Orgelempore hinauf. Dort sass der Organist Künzle immer noch auf seiner Orgelbank während aus dem Boden kleine Räuchlein aufstiegen. Mit meinem Bajonett öffnete ich ein paar Bretter, um zu sehen, dass da mit unsern blossen Händen nichts mehr zu retten war. Wir geleiteten dann den Organisten ins sichere Freie.

Rauchsäulen über der Stadt

Auf dem Weitermarsch konnte ich dann von der Rosenbergstrasse aus das Ausmass der Zerstörungen anhand der Rauchsäulen über der ganzen Stadt abschätzen. Zum Glück konnte man einen Soldaten im Urlaub, trotz Nachfrage, nicht brauchen. Die Rettungsdienste waren allmählich in Gang gekommen, und Neuhausen war ja auch nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Die Rückfahrt musste damals über Winterthur gehen, wo alle Personen aus Schaffhausen bestürmt wurden, um Näheres bei einem Café Crème im Bahnhofbuffet zu erfahren. Über Bülach– Eglisau–Zweidlen kam ich dann mit dem letzten Zug auf meinem Posten an, wo natürlich alle alles noch einmal vom Augenzeugen wissen wollten. Am nächsten Tag durften dann alle Kameraden, die in den stark betroffenen Quartieren wohnten, nach Hause fahren, um sich nach den Verhältnissen zu erkundigen.

Augenzeugenberichte aus der Vergangenheit zählen vielleicht heute nicht mehr viel. Zurückschauend ist alles viel klarer und verständlicher. Wer aber selbst unmittelbar im Geschehen drin steht, muss eben im kritischen Moment das für ihn dannzumal Mögliche tun.


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