Von am 20. März 2014

Bekundungen freundeidgenössischer Solidarität und die erste Exklusiv-Reportage aus dem brennenden Schaffhausen

Amtlich wird mitgeteilt:
Am 1. April 1944. von vormittags 10 Uhr 30
an, wurden die Kantone Thurgau und Schaff
hausen durch amerikanische Bombardierungsflugzcuge in Formationen bis
zu dreißig Flugzeugen überflogen. Etwa nm 11 Uhr wurdcn Bomben über der Stadt
Schaffhausen abgeworfen. Nach den bis jetzt vorliegenden Meldungen sind in der Bahnhofgegcnd und in der Stadt mehrere Brände ausgebrochen. Weitere Einzelheiten
werden später bekanntgegeben.

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Im Anschluss an das bereits herausgegebene amtliche Communiqué über die Bombardierung
von Schaffhausen kann noch folgendes mitgeteilt werden: Die amerikanischen Bombardierungsflugzeuge, die in einer Höhe von 5000 bis 7000 Metern das nördliche schweizerische Grenzgebiet überquerten, gehörten einem Verband an, der nördlich des Rheins über Süddeutschland
in Aktion zu sein schien. Um I0 Uhr 50 sielen die e r st e n Bomben über Schaffhausen ab. Wahrscheinlich waren an der Bombardierung etwa dreißig Flugzeuge beteiligt, die ihre Bombenlast ans einer Höhe von ungefähr 5000 Metern abwarfen. Uebcr Menge und Gewicht der abgeworfencn Bomben können noch keine Mitteilungen gemacht werden. Bis zur Stunde sind Schäden an etwa zehn Objekten gemeldet worden, die in Brand gerieten, daruntcr auch der Bahnhof und verschiedene Fabrikanlagen. Leider sind nach den bis jetzt vorliegenden Meldungen 27 Tote und rund 100
Schwer- und Leichtverletzte zu beklagen. Rettungs- und Hilfsaktionen wurden durch die Militär- und die Zivilbehörden sofort eingeleitet unter Einsatz der hierfür aufgestellten Formationen. Die ausgebrochenen Brände wurden sofort bekämpft und konnten eingedämmt werden. Der Schaden ist beträchtlich. Der Reiseverkehr nach Schafshausen ist bis Montag. 3. April, auf jene Reisenden beschränkt, welche die Notwendigkeit ihrer Reise nachweisen können.

Der amerikanische Gesandte bei Bundesrat Pilet

Das Politische Departement hat die schweizerische Gesandtschaft in Washington über die Bombardierung von Schaffhausen unterrichtet und sie angewiesen, bei der amerikanisch» Regierung die sich andrängenden verschiedenen Schritte zu unternehmen. Weitere Instruktionen werden erteilt
werden, sobald die erwarteten Schadenberichte vorliegen werden. Am Samstagnachmittag hat Bundesrat Pilet»Golaz den Gesandten der Vereinigten Staaten in Bern, Harrison, empfangen,
der ihm Persönlich sein schmerzliches Bedauern über den unerklärlichen Irrtum, dem die Stadt Schaffhausen tragischerweise Opfer gefallen zum ist, ausdrückte.

Washington, 1. April. Aussagen des Kommandanten des amerikanischen Geschwaders

London. 1. April. (United Preß) Der Kommandant eines der amerikanischen Geschwadcrs,
die Schaffhausen bombardierten, gab der United Preß folgende Erklärung ab:
«Mit t i e f s t e r B e st ü r z u n g haben wir von dem Fehlbombardement Kenntnis genommen. Es tut uns furchtbar leid, daß dies geschehen konnte. Die Communiqués der amerikanischen Heeresdienste werden die Situation erklären. Wir wurden einfach durch den Wind abgetrieben, da die Windgeschwindigkeit höher war. als man erwartet hatte. Der Kommandant der Bombergruppe
hatte keine Ahnung, dass die Bomben auf Schweizer Gebiet abgeworfen wurden. Und viele von unseren Leuten wissen es jetzt noch nicht. Sie alle werden es im Laufe des Sonntags erfahren,
und ich weiß, daß sie ausnahmslos sehr niedergeschlagen sein werden.“

***

Kommentar

Gefahr ans der Luft! wurde unserer Bevölkerung vor einer Woche noch warnend zugerufen. Eine gewisse sorglose Zaungast-Mentalität gegenüber dem rings um unser Land tobenden Krieg, wie sie bei den Bomberlandungen in Dübendorf in Erscheinung getreten ist, machte dieses Wort der Warnung nötig. Gefahr aus der Luft welche schreckliche Form und welches grauenhafte Ausmaß sie auch für unser am Kriege nicht beteiligtes Land annehmen kann, hat die Grenzstadt am Rhein in einer Unheilsstunde des letzten Samstagvormittags furchtbar erfahren. Die Bombardierung von Schaffhausen ist ein Ereignis, das jedem Schweizer die Tatsache der ständigen und stets noch wachsenden Gefährdung des eigenen Landes durch die unvorhersehbaren Wechselfälle eines grausamen und mörderischen Krieges bringen zum Bewußtsein wird. Der verhängnisvolle Irrtum
eines amerikanischen Bombergeschwaders, der es verschuldet hat, daß von einer Minute zur andern
Tod und Verderben ans ein blühendes Gemeinwesen vom Himmel herabgefallen ist. wirkt wie
ein Memento aller jener Bedrohungen und Gefahren, die unfer noch in Zukunft warten
können. Das Schicksal selbst hat dem Schweizervolk eine Mahnung von brutaler Eindrücklichkeit erteilt, und unser inniges Mitleid mit der schwer betrogenen Grenzstadt am Rhein wird schmerzlich verliest durch den Gedanken, daß es in einem gewissen Sinne ein stellvertretendes Leiden ist. das Schaffhausen in dieser ersten großen Heimsuchung der helvetischen Gaue durch
dir Kriegsfurie auf sich nehmen muss.
Dies und manches andere zu sagen, was wir denken und fühlen, fällt schwer. Aber bedarf der Unheilstag von Schaffhausen überhaupt dessen, was wir in der Zeitungssprache einen Kommentar nennen? Wenn Bomben fallen, so wie am Samstag in der Stadt am Rhein, tönen nachher die Worte hohl und gespenstisch. Eine Untersuchung, sie ist natürlich im Gange. Der Protest gegen dir empörend leichtfertige Mißachtung der völkerrechtlich scharf gezogenen Grenze zwischen einer kriegsführenden Macht und einem friedlichen neutralen Lande – fchon ist er erhoben worden. Die Wiedergutmachung,
sie wird verlangt werden. Doch indem wir „Wiedergutmachung“ schreiben, wissen wir auch, daß das Geschehene durch einen Ersatz materieller Schäden nicht wieder gutzumachen ist. Am Körper der Eidgenossenschaft, am Leib des Schweizervolkes brennt die Wunde Schaffhausen, und ihre Narbe
werden wir immer tragen. Wir können eines nur tun: mitleiden, helfen und uns zugleich geloben, den anderen Prüfungen, die dicsc Zeit uns noch bringen mag. mit männlichem Mute entgegenzugehen.

Wir möchten helfen!

Schaffhausen ist bombardiert wurden. Teile der schönen, stolzen Stadt, die wir alle kennen,
liegen in Schutt und Asche, und viele Familien sind in Trauer gestürzt worden. Die Bevölkerung
der Grenzstadt am Rhein hat Stunden des Schreckens und Grauens hinter sich. Tiefes Mitgefühl mit der schwer heimgesuchte» Stadt erfüllt das ganze Schweizervolk, und die Botschaft,
die der Waadtländer Staatsrat an den Regierungsrat von Schaffhausen gerichtet hat. um der
Bevölkerung‘ des Kantons Schaffhausen seine aufrichtigen Teilnahme für die schwere Prüfung
auszudrücken, wird dir Botfchaft aller Kantone sein.
Verschiedene schweizerische Landesgegenden habe» bereits durch vereinzelte Bombenabwürfe
einen Vorgeschmack jener Tragik erhalten, die das Schicksal der Bevölkerung der im kriege
stehenden europäischen Staaten geworden ist. Aber es war nur ein Vorgeschmack. Der vergangene Samstag hat Schaffhausen nicht nur einen Vorgeschmack des Leides, sondern das Leid selbst
gebracht, und was wir Schweizer bis jetzt mehr oder weniger ans der Ferne, und zwar ans
der geborgenen Ferne heraus, mitangesehen haben, ist zum furchtbaren Gemeinschaftserlebnis
einer ganzen Stadt geworden, dieser Stadt, der die tragische Rolle zugefallen ist. die erste im großen
Maßstabe bombardierte Stadt der Schweiz zu sein.
Schaffhausen wird in den nächsten Tagen ungezählte Kundgebungen des Mitgefühls dürfen, erfahren aber in dieser traurigen Stunde werfen wir die Frage auf, ob wir es nur bei Reden und Schreiben bewenden lassen dürfen? Jenes Feuerwehrauto. das von Zürich aus am Samstagvormittag
nach Schaffhauscn fuhr, um sich an den ersten Rettungsarbeiten zu beteiligen, ist nur der erste
beflügeltste Ausdruck jenes freundeidgenössischen Helferwillens gewesen, der sich überall kundtut und der sich unmittelbar und Praktisch betätigen möchte. Schaffhaufen ist ein Gemeinwesen, das s i c h zum Teil ans eigener Kraft helfe» wird! Auch der Bund wird mit seinen Mitteln beispringen, aber wir spüren es in diesem Augenblick voraus, daß die schweizerische Bevölkerung selbst einspringen
möchte . . .(…) Ein Zürcher Zünfter hat spontan siener Meinung Ausdruck gegeben, daß Zürich das Sechseläuten zu einer eigentlichen Sympathiekundgebung für Schaffhausen gestalten sollte. Man wird in Zunftkreiscn zu diesem Stellung nehmen müssen: es ist nicht unsere Aufgabe, uns jetzt zu diesem Vorschlag zu äussern. Fest steht für uns aber, daß Zürich das sich durch viele Bande mit Schaffhausen verknüpft ist, als eine der ersten Städte eine Aktion für die schwergeprüfte Stadt einleiten möchte. Alle die Extrablätter der Zeitungen auf den jedermann gelesen Straßen unserer Stadt von wurden, Konnte man die Welle des Mitgefühls spuren, die durch unsere ganze Bevölkerung ging. (…)

***

NZZ-Reportage aus Schaffhausen:

Ganz Schaffhausen scheint in ein Heerlager verwandelt. und die wenigen Zivilpersonen, die über Schutt und Schlauchleitungen weghuschen, haben für nächste Angehörige zu sorgen oder sonst ihren Teil an die Hilfeleistung beizutragen. Bewundernswerte Arbeit leistet die durch Militär verstärkte Feuerwehr. Weit aus der Umgebung find die Löfchkorps angerückt; auch die Zürcher Feuerwehr erscheint im Laufe des Nachmittags auf dem Platz. Die Ortswehr versteht den Ordnungsdienst mit ruhiger Bestimmtheit. Bombentrichter, Blindgänger, einsturzdrohende
Hauswände erheischen strenge Maßnahmen.

Rundgang durch die betroffenen Quartiere

Das erste getroffene Objekt, an dem wir vorbeifahren, ist die Schweizerische Bindfadenfabrik in Flurlingen: dann kommen die ersten brennenden Wohnhäuser. Bald aber sind wir im Zentrum der grauenhaften Verheerung. Auf Schritt und Tritt erscheinen nun alle jene Bilder vorm Auge, wie man sie aus Zeitungen und Kinowochenschauen nur allzu gut kennt.

(…) Die Anschrift zeigt, daß es sich um die Tuchfabrik Schaffhausen handelt. Die Uhr über den, Eingang ist um 10 Uhr 50 stehengeblieben. Auesserlich scheint das
Gebäude wenig versehrt: in, Innern sind bcträchtliche Verheerungen
zu konstatieren. Der Bürotrakt ist ein einziges Flammenmeer. Einigermassen unversehrt fcheint gegenüber das neue Elektrizitätswerk der Stadt Schaffhaufen. Das alte jenseits des Rheins hat Rauchfahnen aufgesetzt.
Vor den Wohnhäusern, die zwilchen die Fabrikunternehmungen eingestreut sind, stehen Möbel, Bettzeug und allerlei Habseligleiten geschichtet. Vieles ist brandversengt. Man versucht zu retten, was zu retten Die Feuerwehren aus der ganzen Ostschweiz
eilten zur Hilfeleistung herbei, rings um Ruinen der Reiseartikelfabrik Hablützel liegen große Hausen angebrannter Ledervorrate. In Brand steht auch die Lederwarenfabrik Keller. Auch der kantonale Werkhof. wo die Autobus- und Autotransportunternehmung Rattin ihren Sitz hatte, existiert nicht mehr. Hier scheinen Oel und Benzinlager in Brand geraten zu sein. Vom Dach regnet es Ziegel und Balken, so daß kaum durchzukommen ist. Aehnlich sieht es in der ganzen Rhein straße aus.

Unheimlich dringen die Sonnenstrahlen durch die bald helle. bald dunkelgefärbte Rauchwand.
Wir stoßen auf den Herrenacker vor, wo wir mit Entsetzen feststellen, daß das von Dr.
Guyan vorbildlich betreute, weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannte Naturhistorische Museum ein Raub der Flammen geworden ist. Aus allen Fensterlücken schlägt das Feuer. Nebenan steht die rühmlich bekannte Silberwarenfabrik Jezler, ein Unternehmen von fchweizerifchem Rang, ebenfalls in Flammen. Gegenüber brennt das Imthur n e u m, das Gebäude, in dem sich das Stadttheater befindet.
Die Berichterstattung drängt uns weiter. Beim Fronwagplatz scheint das Verderben ein Ende zu finden, doch ist die Zahl der zerbrochenen Fensterscheiben gewaltig. In den Seitengassen sind die Glasscherben schon säuberlich zu Haufen gewischt worden, ein Bild bürgerlicher Ordnungsliebe mitten in der Zerstörung. Die zerbrochenen Schaufenster sind schon ausgeräumt. Flinke Kinder huschen durch die Lücken, um ihren Weg abzukürzen.

Der südliche Teil des Bahnhofes liegt in Trümmern. Hier sind auch Todesopfer zu beklagen. Mehrere davon liegen noch unter dem Schutt begraben. Doch weiter über die Bahnlinie ins Fäsenstaubquartier. Dort ist neben der katholischen Kirche das Katholische Vereinshaus ein Raub der Flammen geworden. Einige Schritte weiter öffnet sich von der Casino der Blick auf das Mühlenenquartier. In diesem industriellen Zentrum, wo sich auch das Elektrizitätswerk von Schaffhausen befindet, hat das Flächenbombardement lückenlos gespielt. Kein Haus, das nicht schon ausgebrannt ist oder nicht lichterloh brennt! Im Mühlenenquartier scheint die Zahl der Opfer an, größten zu fein. Man fpricht von fünfzehn Toten, die noch nicht
geborgen werden konnten. Die Arbeiterschaft wurde hier mitten in ihrer Tätigkeit vom Verderben überrascht.

Die verschiedenartigsten Bilder jagen sich, kaum daß man sie in sich ausnehmen kann. Da wird ein Verwundeter geborgen, dort werden Särge aus einem Sarglager hervorgeholt und auf einen Camion geladen. Hier brennt eine offene Gasleitung, und immer wieder Bombentrichter. Ruinen. Schutt, schwelender Rauch und lodernde Brände.

Wenige Schritte rheinauswärts. und Schaffhausen bietet ein Bild reinsten Friedens. Hier weidet sich das Auge an, vertrauten Bild der erkergeschmückten Straßen. Dort hat das unerbittliche Verhängnis grausige Lücken in die Straßenfronten gerissen, ja ganze Straßenzüge und Quartiere radikal vernichtet. Immer wieder gibt die Haltung der Rettungsmannschaften Anlaß zu bewundernder A n e r ke n n u n g. Bunt zusammengewürfelte Truppenteile durcheilen die Straßen, viele mit geschulterten Werkzeugen für die Wegräumung der Trümmer. Ist am einen Ort das rasende Element noch ungezügelt, so wird nebenan schon ausgeräumt und Platz geschaffen.

Mehr und mehr treten im Straßenbild die Samariterinnen und Fürsorgerinnen in Erscheinung. Aerztliche Hilfe war sehr rasch ud im großen Umfang zur Stelle. Man erzählt uns. daß ein großer Teil der Winterthurer Ärzteschaft fofort nach Bekanntwerden der Katastrophe nach Schaffhausen gefahren ist. Wir sehen auch zahlreiche Militärärzte, manche mit blutbefleckten Uniformen. Im Laufe des Nachmittags erfcheinen an allen Straßenecken die großen weißen Plakate der Kriegsfürsorge. Sie geben an. wo Massenspeisungen stattfinden, in welchem Schulhaus sich die Obdachlosen zu melden haben und vieles andere mehr. Man nimmt mit Befriedigung wahr, daß die Vorbereitungen, wie sie überall in der Schweiz für den Ernstfall getroffen werden, klappen.

Wir wollen uns vor Übertreibungen hüten. Schaffhausen ist nicht vernichtet. Aber das
Schicksal hat Wunden geschlagen, die so rasch nicht vernarben werden. Noch nie hat der Krieg unser Land so unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen wie heute die Stadt Schaffhausen. Wer Tod, Elend und Schrecken mit eigenen Augen wahrgenommen hat, hegt nur den einen Wunsch, daß es das einzige Mal sein möge, dass uns eine solche Katastrophe heimsuchte.


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