Von am 27. März 2014

Die Diplomatie am Werk

M. (Bern, 4. April.) Die Bombardierung der Grenzstadt Schaffhausen durch amerikanische Flugzeuge hat den Mechanismus der Diplomatie in lebhafte Bewegung gesetzt. Sofort nach dem Eintreffen der ersten Meldungen in Washington begab sich der schweizerische Gesandte, Minister Dr. Bruggmann, ins Staatsdepartement, um Erkundigungen einzuziehen, während der Vertreter der Vereinigten Staaten in Bern, Minister Harrison, seinerseits den Vorsteher des eidgenössischen Politischen Departementes aufsuchte, um ihm sein persönliches Bedauern auszusprechen. Inzwischen hat Minister Bruggmann am Sonntag ein zweites Mal mit dem amerikanischen Staatsdepartement Fühlung genommen, nachdem er von Bern aus den Auftrag erhalten hatte, baldmöglichst den Sachverhalt beziehungsweise die von der amerikanischen Regierung erwartete aktenmäßige Darstellung nach der Schweiz zu übermitteln. In Bern fand vorläufig in der Angelegenheit kein weiterer diplomatischer Kontakt mit der amerikanischen Gesandtschaft statt. Der Bundesrat befaßte sich aber in seiner Montagsitzung ausführlich mit den verschiedenen Gesichtspunkten der Bombardierungskatastrophe, und es kann als selbstverständlich bezeichnet werden, daß er, wie auch immer die amerikanische Darstellung lauten mag, in Washington einen sehr ernsten und eindringlichen Protest erheben wird. Ueber die Reaktion der amerikanischen Regierungskreise und der dortigen öffentlichen Meinung kann gegenwärtig noch nichts Endgülitges gesagt Werden. Eine Meldung von United Preß besagte einzig, daß der Sekretär des Weißen Hauses eine amtliche Bekanntmachung des Kriegsdepartementes in Aussicht gestellt habe und daß eine unverzügliche formelle Entschuldigung für die Bombardierung einer schweizerischen Stadt zu erwarten sei.
Unser Gesandter in Washington hat das Weiße Haus bereits restlos über die tiefe Bestürzung und Trauer der schweizerischen öffentlichen Meinung unterrichtet. Wenn auch niemand die Bombardierung Schaffhausens als vorsätzliche Handlung auffaßt, so ist es doch anderseits vollkommen klar, daß die von den amerikanischen Piloten aus schweizerischem Territorium angerichteten Verwüstungen in keiner Weise entschuldigt werden können. Vollkommen unhaltbar sind die Aeußerungen aus dem europäischen Hauptquartier der amerikanischen Lustwaffe, wonach „schlechte Sicht“ und „verstärkter Rückenwind“ die Schuld am Irrtum der Piloten trügen. Ein klarer und sichtiger Himmel spannte sich am Samstag über der Schweiz, und der beste Beweis hiefür ist die große Genauigkeit der Objektwahl der Piloten, die ja vor allem industrielle Betriebe wählten. Aber auch die Ausflucht unerwartet gesteigerter Fluggeschwindigkeit infolge Rückenwindes kann den Irrtum der Piloten nicht entschuldigen, denn jeder Fachmann weiß, daß sich die Windstärke ohne Schwierigkeit berechnen läßt. Man kommt nicht um die Anklage herum, daß die amerikanischen Flieger über völlig ungenügende geographische Kenntnisse des europäisches Raumes verfügen, daß sie aber trotzdem die Möglichkeit des Irrtums bei ihren Bombardierungen lediglich als „Betriebsunfall“ werten, als zwar bedauerlicher, aber nicht immer vermeidbares Intermezzo bei der Feindbekämpfung.
Gerade diese Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber der Verletzung von Neutralität und Souveränität ist für unser Volk sehr schmerzlich. Wir sind der Auffassung, daß die schweizerische Diplomatie bei der Behandlung der Katastrophe von Schaffhausen diesen Gesichtspunkt ganz besonders hervorzuheben hat. Je häufiger der schweizerische Lusträum von fremden Kampffliegern in rechtswidriger Weise durchflogen wird, desto mehr wächst auch die Gefahr weiterer Bombardierungen. Die aus Washington zu erwartenden Beteuerungen des Bedauerns werden deshalb in der Schweiz nur dann einen tieferen Eindruck hinterlassen, wenn sie von der künftigen Respektierung unserer Gebietshoheit begleitet werden.

Die Demarchen in Washington

Amtlich wird in Bern mitgeteilt: Auf Grund der Berichte, die ihm über die Bombardierung von Schaffhausen zugegangen sind, hat das eidgenössische Politische Departement der schweizerischen Gesandtschaft in Washington ergänzende Weisungen für die Schritte erteilt, die unternommen werden, damit die amerikanischen Behörden angesichts der Schwere des Falles eine sehr einläßliche Untersuchung über die Ursachen durchführen und tatsächlich wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Wiederholung derartiger Irrtümer zu vermeiden, abgesehen von der Wiedergutmachung der Schäden.
Die amerikanische Gesandtschaft in Bern hat dem Departement ihrerseits vom Wortlaut des amtlichen Communiqués Kenntnis gegeben, das der Sekretär des Staatsdepartements am 3. April der Presse übergeben hat. In diesem Commnnique gab die amerikanische Regierung ihrem tiefen Bedauern und dem Bedauern der amerikanischen Luftwaffe über die Tragödie von Schaffhausen Ausdruck und kündigte gleichzeitig an, daß sie im Maße des menschlich Möglichen die verursachten Schäden wieder gutmachen werde und alle Vorsichtsmaßnahmen ergreife, damit sich derartige Zwischenfälle nicht wiederholen.
Eine Demarche gleichen Sinnes wurde von einem Offizier des Kriegsdepartements beim schweizerischen Militärattache in Washington unternommen. Ueberdies suchten der Botschafter der Vereinigten Staaten in Großbritannien und General Spaatz, Kommandant der amerikanischen Lustwaffe in Europa, den schweizerischen Geschäftsträger in London auf, um ihr sehr lebhaftes Bedauern über die Bombardierung von Schaffhausen auszusprechen. Bei diesem Anlaß erklärte General Spaatz, daß er zur Ermittlung der Gründe des vorgekommenen Irrtums eine genaue Untersuchung angeordnet habe, und er versprach, alle Maßnahmen zu ergreifen, um neuen Verletzungen des schweizerischen Luftraumes durch die amerikanische Luftwaffe vorzubeugen.

Erklärungen Cordell Hulls

Der amerikanische Staatssekretär Cordell Hüll gab am Montagabend Pressevertretern gegenüber eine offizielle Erklärung ab zur Bombardierung von Schaffhausen. Es hieß darin u. a., daß die amerikanischen Flieger, die eine Operation über Süddeutschland durchführten, infolge Verkettung unglücklicher Umstände Bomben auf eine Schweizerstadt am rechten Rheinufer abgeworfen haben. Nachdem der amerikanische Staatssekretär sein tiefes Bedauern, ebenso wie dasjenige „aller Amerikaner“ ausgesprochen hatte, erklärte er, daß alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen würden, um eine Wiederholung ähnlicher tragischer Zwischenfälle zu vermeiden. Schließlich gab Cordell Hull die Zusicherung, daß die amerikanische Regierung für die Schäden in Schaffhausen auskommen werde.

***

Was lehrt uns das Unglück von Schaffhausen? – Es hätte noch viel schlimmer sein können!

Zwei Tage sind seit der schrecklichen Bombardierung der Stadt Schaffhausen verflossen, und langsam läßt sich nun auch die Katastrophe in ihrem ganzen Ausmaß überblicken. Bereits lassen sich denn auch einige Folgerungen daraus ziehen, die am Montagabend Gegenstand einer Pressekonferenz beim zuständigen Territorialkommandanten waren. Dabei konnte sich dieser der Auffassung nicht verschließen, daß man, bei aller Tragik, die über die Stadt und ihre Bevölkerung hereingebrochen ist, froh sein mutz, daß nicht noch Schlimmeres vorgefallen ist. Militärtechnisch muß das Bombardement als keineswegs schwer bezeichnet werden. Es steht schon heute fest, daß keine großkalibrige Bomben zum Abwurf gelangten. Wahrscheinlich dürfte es sich bei den Sprengbomben höchstens um solche von 50 Kilo Gewicht gehandelt haben. Zudem ist die Zahl der Sprengbomben, die auf die Stadt sielen, im Verhältnis zu den Brandbomben klein. Wären großkalibrige Bomben abgeworfen worden, so hätte wohl die Stadt noch ungleich viel mehr zu leiden gehabt. Ein weiterer Glücksfall war es, daß die Sprengbomben nicht in die dichten Bevölkerungsansammlungen hineinfielen, wie es zum Bei. spiel auf dem Marktplatz sehr gut möglich gewesen wäre, wo die Zahl der Opfer in einem solchen Falle unabsehbar hätte werden können. Eine große Zahl Sprengbomben sind auch außerhalb der Stadt in bewaldetes Gebiet gefallen, wo sie am Tannen, bestand schreckliche Verheerungen anrichteten. Es ist nicht auszudenken, welchen Umsang die Katastrophe angenommen hätte, wenn alle diese Bomben auch noch die Stadt getroffen hätten. Ein weiteres Glück im Unglück war der Umstand, daß die Kinder in den Schulen festgehalten waren, sonst hätte sicher Schnitter Tod auch unter ihnen schlimmer gehaust. So blieb es bei einem einzigen Todesopfer unter der schulpflichtigen Jugend.

Bei Fliegeralarm fort von der Straße!

Wie sehr die Weisung unserer Behörden, bei Fliegeralarm die Straßen zu meiden, berechtigt ist, hat die Tatsache gezeigt, daß die Großzahl der Opfer im Freien oder unter den Fenstern vom Schicksal erreicht wurde, während in keinem einzigen Keller, auch wenn er nicht ausgebaut war, irgendein Verletzter zu beklagen war. Selbst in stark zerstörten Häusern war die Zahl der Verschütteten gering. An zwei völlig zerstörten Fabriken ist kein einziger Toter zu beklagen, nur weil der Betriebsluftschutz die Belegschaft vor dem Bombenabwurf in die Luftschutzkeller dirigierte. Würde dies Resultat vielleicht auch etwas anders ausgesehen haben, wenn schwerkalibrige Bomben abgeworfen worden wären, so ist es doch beachtenswert. Auf alle Fälle hat die seinerzeit verfügte Lockerung der Alarmbestimmungen nie die Meinung gehabt, der Neugierde Vorschub zu leisten, wie das nun vielfach vorkommt. Nicht allein die Gefahr, von Bombensplittern getroffen zu werden, ist auf der Straße größer, auch Bomberabstürze liegen immer im Bereich des Möglichen, ganz zu schweigen von den Splittern von Flabgeschoffen, die die Straße gefährden.

Berechtigtes Zureise-Verbot

Nicht zu Unrecht erließ der zuständige Der -Kdt. auch ein Verbot der Reisen nach dem Orte der Zerstörung. Der Andrang von Neugierigen setzte am Samstag derart ein, daß allein auf dem Bahnhof Zürich die Kontrolle nur mit Mühe durchgeführt werden konnte. 600 Personen bemühten sich bei den Bahnbehörden noch ausdrücklich um eine Fahrgelegenheit, nicht zu reden von all den Leuten, die von vornherein vom Transport ausgeschlossen wurden. In dieser Hinsicht haben die kürzlichen Erfahrungen von Dübendorf noch keine wesentliche Aenderung der Einstellung bei der Bevölkerung gebracht. Auch aus der Zufahrtsstraße nach Schaffhausen mußten die neugierigen Radfahrer massenweise aufgehalten werden.
All diesen Feststellungen über das wenig disziplinierte Verhalten der Bevölkerung aus der weitern Umgebung steht kraß die Haltung der betroffenen Stadtbewohner gegenüber, die ruhig Zugriffen und ungeheuer viel guten Willen zeigten zu helfen, wo es not tat. Auch die Zusammenarbeit zwischen Zivil und Militärbehörden war derart, daß sich der Der Kdt. nur lobend darüber äutzern konnte. Z. Mp.
In unserem gestrigen Berner Bericht über den Eindruck im Bundeshaus wurde irrtümlicherweise ausgeführt, daß die Alarmierung durch die Sirenen nicht erfolgt sei. Demgegenüber kann festgestellt werden, daß im ganzen Landesteile nördlich der Linie Sargans-Göschenen-Liestal, somit auch in Schaffhausen, rechtzeitig Fliegeralarm gegeben wurde.


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