Von am 29. März 2014

Bilanz der Zerstörung und des Wiederaufbaus

Wenn heute die Einwohnerschaft von Schaffhausen in würdigem Ernst an die tragischen Stunden der Bombardierung zurückdenkt, so geht dies nicht ohne tiefes Empfinden und ohne dass schmerzliche Erinnerungen an diesen Unglückstag wachgerufen werden. Vierzig Todesopfer, über 100 Verletzte und 42,5 Millionen Franken an Gebäude- und Mobiliarschäden, an Verlusten von Kulturgütern, Verdienst- und Produktionsausfall, Personenschäden — das ist in nackten Zahlen ausgedrückt die traurige Bilanz der 400 Brand- und Sprengbomben, die so plötzlich auf unsere kleine, friedliche Stadt abgeworfen wurden und so viel Schrecken, Kummer, Schmerz und Trauer auslösten.

PDF DownloadSchaffhauser Nachrichten – Ausgabe vom 01.04.1954

Insgesamt sind ungefähr 2700 Schäden zur Anmeldung gelangt, darunter 544 Gebäudeschäden (grössere und kleinere ineinander gerechnet), 673 Mobiliarschäden und 290 Personenschäden. 123 Wohnungen gingen verloren, was sich in einer Zeit der Wohnungsnot besonders empfindlich auswirkte. Einen schweren und nicht wieder ersetzbaren Verlust an Kulturgut bedeutete für die Stadt die Zerstörung des Westtraktes des Museums mit 79 wertvollen Gemälden alter, einheimischer Meister, darunter diejenigen des grössten Schaffhauser Malers Tobias Stimmer (vgl. dazu Max Bendel: «Zerstörter Schaffhauser Kunstbesitz»).

Die ersten und dringlichsten Aufgaben

Nach dem so unvermittelt hereingebrochenen Unglück standen die Behörden und ihre Organe plötzlich und unvorbereitet vor gewaltigen Aufgaben. Es galt nun, rasch, aber überlegt zu handeln. Die Improvisationen überstürzten sich. Die Strassen mussten von Schutt und Scherben geräumt, die stehengebliebenen Mauerreste abgebrochen oder so gesichert werden, dass sie keine weiteren Schäden mehr verursachen konnten. Die in Schaffhausen im Dienst stehenden Truppen und eine zugezogene Sappeurkompagnie haben tatkräftig mitgeholfen, diese Aufgabe rasch zu bewältigen.

Die defektgewordenen Wasser-, Gas-, Kanalisations- und elektrischen Leitungen waren wieder instand zu stellen. Für die Unterkunft der Obdachlosen waren Notquarticre und Verpflegungsstellen einzurichten. Die Dächer und Fenster der nur teilweise beschädigten Gebäude mussten raschestens geflickt werden, damit Regen und Wind die Zerstörungsarbeit nicht fortsetzen konnten. Aus der Stadt Zürich kamen durch Vermittlung der Zürcher Regierung siebzig Glaser und Dachdecker zu Hilfe. Dreissig Notbaracken wurden bestellt und raschestens angeliefert. Schon tags darauf, am Sonntagvormittag des 2. April, ist, zusammen mit dem Stadtgärtner und Architekt K. Scherrer, einem Mitglied der Friedhofkommission, die Anlage eines Massengrabes besprochen, der Platz ausgewählt und unverzüglich mit den Aushubarbeiten begonnen worden, damit am 4. April die Opfer der Erde übergeben werden konnten.

Planung des Wiederaufbaus auf lange Sicht

Doch das Leben ging weiter. Sehr rasch stellten sich die Probleme des Wiederaufbaues. Es waren ja hauptsächlich zwei Quartiere, die besonders stark unter der Bombardierung litten, so stark, dass sich eine Neugestaltung aufdrängte: Einerseits das Gebiet zwischen Frauengasse und Ringkengässchen bis hinunter zur Rheinstrasse und anderseits das Quartier der «Mühlenen». Hier galt es nun, die Ueberbauung, so weit dies ohne grossen Zeitverlust möglich war, an die Hand zu nehmen und behördlich zu lenken. Das bedingte vor allem die Einsicht, das Verständnis und den guten Willen der Betroffenen. Nach verschiedenen Konferenzen, Aufklärungen und unzähligen Verhandlungen gelang es, in den umschriebenen Quartieren die einzelnen, zum Teil sehr ungeformten Grundstücke zusammenzulegen, verschont gebliebene oder nur teilweise beschädigte Häuser aufzukaufen, abzubrechen und eine Neuaufteilung vorzunehmen. Das alles liest sich heute sehr einfach; aber es war ein mühsamer und sehr steiniger Weg, den ich nicht mehr begehen möchte.

Vollmachten für den Stadtrat

Die rechtlichen Voraussetzungen für ein solches Vorgehen wurden durch eine Volksabstimmung geschaffen. Mit 4896 Ja gegen 386 Nein erhielt der Stadtrat die Vollmacht, bis zu einem Betrag von 2,5 Millionen Franken Liegenschaften zu erwerben, wieder zu veräussern, aufzuteilen oder abzutauschen, das heisst alles vorzukehren, um den Wiederaufbau, ohne die verfassungsmässigen Kompetenzen und Fristen einhalten zu müssen, so rasch wie möglich in die Wege zu leiten. Das war notwendig, um dem spekulativen Auskauf zuvorzukommen und um eine einigermassen geordnete Ueberbauung zu sichern. Der Baureferent war dann auch während längerer Zeit wohl der meistbeschäftigte Liegenschaftenhändler der Stadt. Heute darf man mit Genugtuung feststellen, dass sich dieses Vorgehen, im grossen und ganzen betrachtet, bestimmt bewährt hat.

Die neuen «Mühlenen»

Wohl die grösste Veränderung erfuhr das Quartier der «Mühlenen». Vielen mag das frühere Bild bereits in Vergessenheit geraten sein. Die ausgebrannten Gebäulichkeiten der Fahrradteilefabrik Weinmann wurden aufgekauft und zusammen mit der «Ebenau» abgetragen. Man wollte, wenn immer möglich, das Rheinufer freibekommen und als Grünanlage ausbauen. Das hatte zur Folge, dass die Firma Weinmann in ein Aussenquartier verlegt werden musste. Nur ungern liess sich diese Firma dazu bewegen; ich glaube aber, dass sie den Entschluss heute nicht mehr bereuen wird. Die Liegenschaften Stierlin, Schmiedmeister, und das «Brüggli» mussten weichen, um die zu enge und unübersichtliche Mühlenstrasse breiter und flüssiger zu gestalten. Die der Bindfadenfabrik gehörenden Wohnhäuser beim Werksteg «Hammerschmiede» und «Rheinschau» wurden im gleichen Bestreben ebenfalls niedergelegt. Aber auch im Hinblick auf das zukünftige Kraftwerk drängte sich dieser vorsorgliche Ankauf bereits auf. Nördlich der Mühlenstrasse wurde sozusagen alles aufgekauft und neu aufgeteilt, was zwischen «Kreuz» und Tuchfabrik lag, so die Liegenschaften Aeschbacher, Nohl, Hauser-Bösch, Stierlin Autogarage, «Glocke», Gerster, Wägli, Ruh, Meier-Kummer usw. — Der generelle Bebauungsplan wurde in kürzester Frist durch die Architskten Schlat-ter & Schmid bearbeitet.

Anschliessend an den Neubau der Tuchfabrik erstellte die Firma Lederwarenfabrik AG. ihren Fabrikneubau und machte damit im Gebiete der Frauengasse Platz für die neue Überbauung. Leider konnte sich diese Firma aus verschiedenen Gründen bis heute noch nicht entschliessen, den im damaligen Baugesuch vorgesehenen Hochbau an der Westseite zu erstellen. Der Stadtrat bedauert dies lebhaft, lässt aber die Hoffnung vorläufig nicht fallen, dass in absehbarer Zeit doch noch das Projekt zur Ausführung gelangen wird. Die Firma A. Hab-lützel Söhne, Reiseartikel, hatte sich am Glok-kenstieg das notwendige Land gesichert für den Ersatz ihrer Fabrikräumlichkeiten, die an der Rheinstrasse der Bombardierung zum Opfer fielen. Bis Jetzt hat diese Firma ihren Betrieb in provisorisch eingerichteten Räumen weitergeführt. Es ist aber beabsichtigt, noch diesen Sommer mit dem Bau der Fabrikgebäulichkeiten am Glockenstieg zu beginnen und somit wäre wieder ein weiterer Schritt der planmässigen Ueberbauung in den «Mühlenen» getan.

Frauengasse / Rheinstrasse

Etwas vollständiger ist der zweite Bombardierungskern an der Frauengasse/Ringkengässchen/Rheinstrasse überbaut und heute sozusagen zum Abschluss gebracht. Die Stadt hat auf den Wiederaufbau des Naturhistorischen Museums auf dem Herrenacker verzichtet. Es bestand ja schon vor der Bombardierung der Plan, dieses Gebäude ebenfalls in das Areal der Museumsbauten zu Allerheiligen einzuordnen. Das Naturhistorische Museum konnte deshalb der Firma Jezler & Co. AG. Silberwarenfabrik, überlassen werden, welche bereits ihr Bürogebäude in gefälligem Stile und gut in das Platzbild des Herrenackers eingeordnet erstellt hat. Die Zusammenlegungen sind in der dortigen Gegend nun so geordnet, dass die Firma Jezler & Co. AG. alleinige Besitzerin geworden ist des Areals zwischen Ringkengässchen und Frauengasse. Sie hat damit die Möglichkeit, nach einem Gesamtplan ihren Betrieb allenfalls sukzessive und nach Bedürfnissen zu erweitern und zu modernisieren. Auf dem Areal der früheren Lederwarenfabrik AG. sicherte sich die Stadt den Platz für die Kinderkrippe, die inzwischen erstellt worden ist. An der Rheinstrasse wurden die Wirtschaft «Zur Roggengarbe», die Sender’sche Liegenschaft und die Liegenschaft der Herren Walter, Eichmeister, aufgekauft und niedergelegt, soweit sie nicht schon zerstört waren. Auf diesem Gelände erstand das Hortgebäude mit Schulzahnklinik und den Uebungsräumen für die Musikvereine.

Auf Grund der Vollmachten ist auch, nachdem die Villa Rausch ebenfalls der Bombardierung anheimfiel, der Anteil von Herrn Henri Rausch an dem rund 50 000 Quadratmeter messenden Besitz des Rausch’schen Gutes erworben worden. Der Anteil betrug einen Drittel des Areals. Im Jahre 1950 konnte der zweite Drittel erworben werden und zurzeit sind die Verhandlungen so weit gediehen, dass Aussicht besteht, auch noch den letzten Drittel zu erwerben. Die ganze Liegenschaft käme damit in städtischen Besitz, und es ist beabsichtigt, diese prächtige Wohnlage nach erfolgter Erschliessung der Ueberbauung freizugeben. Wenn das Rauschsche Gut mit in diese Betrachtungen hineingezogen wird, so deshalb, weil sehr wahrscheinlich ohne die Zerstörung der Villa die Liegenschaft kaum hätte erworben werden können.

Gelungener Wiederaufbau von Einzelobjekten Die vielen übrigen ganz oder teilweise zerstörten Bauten in der Altstadt sind inzwischen wieder aufgebaut oder restauriert worden und zwar durchwegs in recht erfreulicher Art. Der Wille und die Einsicht bei den Bauherren und den Architekten waren vorhanden, die Bauten harmonisch ins Stadtbild einzuordnen; zum Teil ist sogar eine Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand festzustellen. Es würde zu weit führen, auf jedes einzelne Objekt einzutreten.

Dagegen wird es am Platze sein, noch einige grössere Bauten ausserhalb des eigentlichen Stadtkerns zu erwähnen, so zum Beispiel die Wiederinstandstellung des zerstörten Südflügels des Bahnhofes nach den Plänen von Architekt W. Henne. Die Bundesbahn hat richtigerweise die Gelegenheit wahrgenommen, ihn grösser und weiträumiger zu bauen. Auch architektonisch fügt sich der Neubau ausgezeichnet in die Umgebung ein.

Das Katholische Vereinshaus ist unter dem Namen «Schaffhauserhof» ebenfalls wieder neu erstanden zusammen mit einer Kleinkinderschule. Der «Schaffhauserhof» spielt heute im gesellschaftlichen Leben der Stadt neben dem Casino eine bedeutende Rolle; enthält er doch den einzig genügend gross dimensionierten Saal, der eine grössere Veranstaltung aufnehmen kann. Mit dem Bau des «Schaffhauserhofes» wird wohl das jahrzehntealte Problem der Saalbaute für die Stadt vorläufig einmal gelöst sein. Die Anlage mit Restaurant, Hotel, Nebenzimmern und so weiter ist durch Architekt Albiker erbaut worden auf Grund eines beschränkten Wettbewerbes.

Die Steigkirche bedurfte einer längeren Abklärung, hauptsächlich in bezug auf den Bauplatz. Der frühere Platz war zu eng und ist nun als wertvolle Ergänzung zum Spiel- und Turnplatz der Steigschule geschlagen worden. Das Projekt Steigkirche ist ebenfalls aus einem Wettbewerb hervorgegangen, deren Verfasser, die Herren Architekten Henne und Oechslin, sich bemühten und zwar mit Erfolg, eine in Fachkreisen viel beachtete und überaus gut si-tuierte Kirche zu erstellen. Sie konnte als eine der letzten der bombardierten und wiederhergestellten Bauten im August des Jahres 1949 eingeweiht werden und bildet in gewissem Sinne den würdigen Abschluss des Wiederaufbaues.

Halten wir unserem Altstadtbild Sorge!

Dies wären, in Kürze gefasst, einige der wesentlichsten Rückblicke auf die Zeit nach der Bombardierung. Es konnte sich nur um eine ganz summarische Darstellung handeln, die immerhin in der Baugeschichte der Stadt Schaffhausen einen, wenn auch kurzen, aber doch markanten Zeitabschnitt bedeutet. Wir dürfen glücklich sein, dass bei der Bombardierung viele unserer hervorragenden, wertvollen Baudenkmäler verschont geblieben sind. Wir haben uns bemüht, die Wunden so gut wie möglich wieder zu heilen. Tragen wir Sorge dafür, dass nach diesem gelungenen Heilungsprozess nicht neue Wunden in das Altstadtbild geschlagen werden, die kaum mehr, ohne bleibende Narben zurückzulassen, wieder gutgemacht werden können.


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